Klinik Oberammergau
Zentrum für Rheumatologie, Orthopädie und Schmerztherapie
 
 
 
 

RÄTSELHAFTE SCHMERZEN

Was hat Lady Gaga, das auch in der Klinik Oberammergau behandelt wird?

In der Klinik Oberammergau werden seit vielen Jahren Fibromyalgiepatienten behandelt. Dr. Peter Keysser, Chefarzt der Abteilung Rehabilitation, Orthopädie und Rheumatologie, und Dr. Diethard Kaufmann, Chefarzt für Internistische Rheumatologie, erklären, was es mit der wenig bekannten Erkrankung auf sich hat.
Was ist Fibromyalgie? Ist das eine psychosomatische Erkrankung?
 
Dr. Kaufmann: Fibromyalgie ist klinisch gesagt ein weitverbreiteter Schmerz der gesamten Körperregion. Ein typisches Muster dieser Erkrankung sind chronische Schmerzen, die mindestens über drei Monate bestehen. Weitere wichtige Hinweise für die Diagnosestellung sind die sogenannten typischen Begleitsymptome wie Schlafstörungen und Erschöpfung. Die Betroffenen können sich dadurch nur sehr schwer erholen und fühlen sich kraftlos.   
  
Verwechseln kann man Fibromyalgie mit anderen entzündlichen und neurologischen Erkrankungen, die ein ähnliches Beschwerdemuster aufweisen.   
  
Um eine Verwechslung auszuschließen, sind ein ausführliches Patientengespräch sowie körperliche und technische Untersuchungen notwendig. Erst dann kann ein erfahrener Rheumatologe schnell differenzieren, ob es sich um Fibromyalgie handelt oder nicht. Das machen wir zum Beispiel hier in unserem Zentrum für Rheumatologie, Orthopädie und Schmerztherapie.  
  
Kann Fibromyalgie durch Röntgen- oder Laboruntersuchungen nachgewiesen werden?
 
Dr. Kaufmann: Leider gibt es keine Laborwerte oder Röntgenbilder, die die Krankheit „beweisen“. Es besteht nur die Möglichkeit von mehreren gezielten Untersuchungen, um andere Krankheiten auszuschließen.   
  
Was löst Fibromyalgie aus?
 
Dr. Kaufmann: Die klare Ursache von Fibromyalgie kennen wir so noch nicht. Es werden psychosomatische Aspekte in der Vergangenheit, seelische Traumen oder ähnliches, in Betracht gezogen. Jeder Mensch hat seine individuelle Geschichte, das lässt sich deshalb so pauschal nicht sagen. Solche Aspekte arbeiten wir im Patientengespräch heraus.   
  
Wie viele Menschen betrifft Fibromyalgie?
 
Dr. Kaufmann: Betroffen sind bei der chronischen Schmerzerkrankung ca. 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung. Tatsächlich sind es interessanterweise mehr Frauen als Männer, die an Fibromyalgie erkranken – 90 Prozent unserer Patienten sind Frauen.   
  
Welche Beschwerden am Bewegungsapparat treten auf?
 
Dr. Keysser: Die Beschwerden des Fibromyalgiesyndroms sind sogenannte Muskel-Sehnen-Ansatzschmerzen, die alle Körperregionen betreffen können.    
  
Können Sie das genauer erklären?
 
Dr. Keysser: Die Schmerzen werden von den Patienten tatsächlich sehr unterschiedlich beschrieben. Manche Betroffenen erleben eine Art „Steifigkeit“, dies ist aber eine andere Form als beispielsweise bei Rheumaerkrankungen. Deshalb gehen wir mit höchster Genauigkeit und gutem Feingefühl an die Problematik heran. Beim Patientengespräch fragen wir gezielt, wie lange und wann genau der Schmerz auftritt, wie lang die „Steifigkeit“ anhält usw., um zwischen Rheuma und Fibromyalgie differenzieren zu können.  
 
Warum spielt der "der nichterholsame Schlaf" eine große Rolle?
 
Dr. Keysser: In den letzten Jahrzenten hatte man in der Forschung verschiedene Diagnosekriterien für das Fibromyalgiesyndrom. Die Schlafstörung ist nach wie vor ein wichtiger Hinweis als sogenannter psychovegitativer Begleitfaktor. Es gibt aber auch Forschungsansätze, die vermuten, dass Schlafstörungen nicht die Folge des Fibromyalgiesyndroms sind, sondern dessen Ursache - da die Regeneration durch den Schlaf ausbleibt. Die Frage, ob ein "nicht erholsamer Schlaf" Teil der Fibromyalgie ist oder Fibromyalgie Folge einer Schlafstörung sein kann, befindet sich aktuell noch in Diskussion.  
 
Sitzen Fibromyalgie-Patienten irgendwann einmal im Rollstuhl?
 
Dr. Keysser: Diese Frage kann ich ganz klar verneinen. Es gibt keine Hinweise, dass die Erkrankung organische Schäden hervorruft. Die Betroffenen müssen hier keine Angst haben, dass sie irgendwann einmal im Rollstuhl sitzen müssen. Es gibt sogar eine gewisse Tendenz, dass bei betagteren Patienten die Symptome teilweise oder sogar komplett verschwinden. Ich spreche hier nicht von Heilung, aber, wenn man sich die Altersgruppen genauer ansieht, weiß man, dass Fibromyalgie bei 80jährigen nicht so weit verbreitet ist wie beispielsweise unter den 40- oder 50jährigen.  
 
Welche grundlegenden Behandlungsansätze empfehlen Sie?
 
Dr. Kaufmann: Grundsätzlich verfolgen wir in der Klinik Oberammergau einen multimodalen Ansatz. Wir beginnen nicht sofort mit Medikamenten. Wir setzen als erstes auf eine stärkere Kondition, damit die muskuläre Leistungsfähigkeit des Patienten verbessert wird. Wir versuchen auch, auf sein Schlafverhalten positiv einzuwirken. Eine große Rolle spielt da die Schlafhygiene, damit unsere Patienten besser zur Ruhe kommen können: keine Krimis schauen, vor dem Schlaf auf Nikotin oder Alkohol verzichten, stets zur gleichen Uhrzeit ins Bett gehen, damit sich ein Schlafrhythmus aufbauen und somit sich auch die Schlafqualität verbessern kann. Dies ist auch für unsere tägliche Therapie wie körperliche Kräftigung, Konditionssport und Schmerzbewältigungstraining mit unseren Psychologen wichtig.   
  
Kann man medikamentös ansetzen? Hilft Cortison?
 
Dr. Kaufmann: Wenn die genannten Behandlungen nicht greifen sollten, versuchen wir es medikamentös. Andere Kliniken haben viel ausprobiert, aber leider auch mit wenig Erfolg. Reine Schmerzmittel oder Cortison zum Beispiel helfen bei Fibromyalgie nicht. Wir haben positive Erfahrung mit leichten Medikamenten für die Muskelentspannung gemacht, die wir befristet einsetzen. Schmerzdistanzierende Medikamente, die wir nachts geben, können sich positiv auf den Schlaf auswirken. Sehr gut funktionieren auch niedrig dosierte Antidepressionsmittel, die sich in der Schmerztherapie sehr bewährt haben, um chronische Schmerzen positiv zu beeinflussen.  
 
Eigentlich hilft ja nichts wirklich, oder? Ist Fibromyalgie unheilbar?
 
Dr. Kaufmann: Heilbar ist Fibromyalgie leider nicht, aber die Schmerzen sind durch aus modellierbar. Wir erreichen mit unseren Konzepten eine Schmerzlinderung. Dazu vermitteln wir unseren Patienten, dass sie nicht unheilbar krank sind, sondern, dass sie ihren Lebensstil ändern müssen. Ein Fibromyalgiepatient sollte sich besser um seine Seele und um seinen Körper kümmern. Er darf nicht nur anderes im Vordergrund sehen, sondern muss sich auch selbst in den Mittelpunkt stellen. Dies zeigt bei uns durchaus Erfolge in der Therapie.   
  
Welche Therapien empfehlen Sie gar nicht?
 
Dr. Kaufmann: Nochmals betonen möchte ich, dass reine Schmerzmitteltherapien, Morphium- sowie Cortisontherapien in diesem Krankheitsbild definitiv keinen Platz in der Behandlung haben. 
Dr. Keysser: Es werden auch sogenannte „Quadrantenoperationen“ angeboten, die an den Schmerzpunkten durchgeführt werden, die nicht empfehlenswert sind. Diese Meinung deckt sich auch mit den Empfehlungen der aktuellen AWMF-Leitlinie Fibromyalgie. Es kommen immer wieder Fibromyalgie-Patienten zu uns, die aufgrund ihrer Schmerzen mehrfach operiert wurden – OPs, die in diesen Fällen aber letztendlich nichts gebracht haben.  
 
Worin liegen die Stärken der Klinik Oberammergau in der Behandlung von Fibromyalgie?/ Was macht das spezielle Behandlungskonzept der Klinik Oberammergau für Fibromyalgie-Patienten aus?
 
Dr. Keysser: In der Klinik Oberammergau verfolgen wir einen multimodalen, interdisziplinären Therapieansatz. Dies ist natürlich ein Schlagwort, welches häufig verwendet wird, aber bei uns ergibt sich dies allein schon dadurch, dass wir tatsächlich verschiedene Fachabteilungen unter einem Dach versammeln. Die Fachärzte sowie die Therapeuten, Psychologen, der Sozialdienst und die Pflege bilden ein multiprofessionelles Team, das individuell auf die Patienten eingeht und eine gemeinsame Linie vertritt.  
 
Welche Therapieziele haben Sie hier in der Klinik Oberammergau?
 
Dr. Kaufmann: Wenn der Patient stationär aufgenommen wird, überprüfen wir genau seine Diagnose, um sicher zu gehen, dass es sich um keine andere Erkrankung handelt. Danach bieten wir gestuft, je nachdem welche Beschwerden beim Patienten auftraten, unser multimodales Programm an bis hin zur Umstellung der Medikation, wenn dies erforderlich sein sollte. Unsere Patienten klären wir über die Therapieschritte unseres individuellen Behandlungskonzeptes genauestens auf, damit sie die Behandlung und ihre Krankheit besser verstehen können.   
  
Unsere Behandlungsansätze umfassen unter anderem auch die Ernährungsberatung, Schlafhygieneberatung, psychologische Betreuung, Schmerz- und Stressbewältigung sowie die Sporttherapie. Unser Ziel ist es, dass es unseren Patienten besser geht, dass sie lernen, ihre Krankheit zu verstehen und das Wissen, dass sie bei uns gesammelt haben, weiterhin anwenden - damit seine Schmerzen so gering wie möglich sind und bleiben.   
  
Dr. Keysser: Nicht nur bei uns, sondern auch in den Fachgesellschaften wurde als Therapiekonzept für Fibromyalgie mehrfach hinterlegt, dass eben gerade die "aktiven Übungen" den Patienten mehr helfen, als die "passiven Übungen". Die Empfehlung liegt hier stark auf aktivierenden Maßnahmen wie z.B. unserer Sporttherapie, Walken, usw.  
  
Was empfehlen Sie, wenn ich wieder zu Hause bin?
 
Dr. Kaufmann: Wir arbeiten auf eine Lebensstiländerung hin und fordern unsere Patienten auf, dass sie das Gelernte auch weiterhin beherzigen. Eine zusätzliche Unterstützung dabei sind die Selbsthilfegruppen. Obwohl Fibromyalgie keine rheumatische Erkrankung ist, bietet die "Deutsche Rheumaliga" Selbsthilfegruppen für Fibromyalgiepatienten an. Es macht in der Gruppe sicher mehr Spaß, die gelernten Elemente weiterzuführen und sich gegenseitig auszutauschen. Wichtig ist, dass jeder Patient weiterhin am Ball bleibt und nicht nachlässig wird.   
  
 
Vielen Dank für das Gespräch 
Veröffentlicht am: 18.05.2020  /  News-Bereich: Die Presse über uns
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